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Musik für meine Ohren Teil 1 : 2
Plädoyer für eine veränderte Avantgarde  
 

Ein feines Gespinst, zart wie ein gehauchter: Kuß?, fast nicht zu fühlen, zu sehen, fast des Kaisers neue Kleider. Fast. Doch die Fasern sind noch faßbar, können mit dem Rezeptionsmikroskop erkannt und benannt werden: Luigi Nono, hellblau, wolkenrandweiß; Buckminster Fuller, morgenrot; Karl-Heinz Stockhausen, allschwarz; Xenakis, Penderecki, erdungskabelgelbgrün; John Cage, schleimweiß; AMM, nebelgrau. Und mehr. Und anderes feinstoffliches Wirken.
     Auch den Weber kennt man seit Jahrzehnten: Evan Parker, Doyen der europäischen Improvisationsmusik, hier am Sopransaxophon. Und den Produzenten auch: Steve Lake. Das Ergebnis: "Toward the Margins" (ECM New Series 1612). Lake, der auch den erdrückend kenntnisreichen Begleittext verfaßt hat, schreibt dort gegen Ende: "Diese eindringliche, detaillierte Musik fordert zum genauen Hören eben dieser Details auf; eigentlich gibt es keine andere Art, sich ihr zu nähern." Dies stimmt. Und tötet. Und kann daher nicht stimmen.
     Was ist zu hören, und wer? Evan Parkers Sopransaxophon, gern zirkularatmungsgetrieben, aber ebenso versiert in den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten, dem Handwerk eben, des Improvisationsmusikers, doch ohne die zwanghafte Neigung vieler Kollegen, das Sopransax zum Quietschtier zu degradieren. Barry Guys Baß, am Rande der Hörbarkeit, Erkennbarkeit, Klanggenerator. Philip Wachsmann, Geige und Bratsche, Klang-Manipulationen. Paul Lytton: kleines Schlagwerk, Elektronika. Walter Prati und Marco Vecchi als Sound-Demiurgen, halten den Klängen den elektronischen Spiegel vor. Zusammen: das Electro-Acoustic Ensemble.
     Die Crux fast aller Tonträger mit freier Improvisationsmusik, Free Jazz, wie auch immer: man sollte dabei gewesen sein. Der Moment der Musikerzeugung plus die Präsenz der Musiker und - vielleicht - des Publikums, das Sehen, Riechen, Fühlen, der Schweiß, die Grimassen, die sichtbaren Hinweise auf physische Verausgabung oder völlige Versenkung, zusammen ziehen diese Faktoren selbst den völligen Neuling, den Fremden in ihren Bann. Wer sich einmal auf das Total Music Meeting in Berlin, das Züricher Taktlos-Festival oder einen Nebenschauplatz in Moers verirrt hat, weiß, wovon die Rede ist.
     Die gleiche Musik zu Hause: amputiert, kaum nachvollziehbar, einer schwer benennbaren Qualität beraubt. Scheinbar kopfgeboren. Nicht so "Toward the Margins".

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