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Ein alter Hut mit sechs Saiten Teil 1 : 2
Journalisten und Pop-Fans entdecken die Reize der alten Dame Punkrock wieder  
 

Sind es Madonna oder Robbie Williams? Sind es die Freunde? Vielleicht Drogen oder Filme? Psychologen, Kommunikationswissenschaftler und Soziologen haben manche Seite gefüllt mit schlüssigen Theorien und Ideen, wie der Pop zum Menschen und wie der Mensch zu Pop kommt. Aber ein wichtiger Türsteher der Pop-Initiation wird ständig übersehen - vielleicht, weil er einem zu nahe steht: Der große Bruder, die große Schwester. Sie haben meist keinen Namen und ihre Existenz wird in einen Nebensatz verbannt, aber wer Musikerbiographien durchforstet, trifft so häufig auf sie wie auf Kokain und oralen Sex, nur früher, nur prägender, nur beiläufig-liebevoller erwähnt, denn die Big Brothers und Sisters haben eines, was der aufstrebende Popstar noch nicht hat: eine wunderbare Plattensammlung nämlich, die Kuhhaut, die zwar in ein Ikea-Regal passt, aber trotzdem ein ganzes Königreich umspannt.
     Mick Collins' Band heißt The Dirtbombs. Mick Collins' Heimatstadt heißt Detroit. Mick Collins' große Schwester heißt Willie Lee Houston. Und Mick Collins lässt seiner Schwester den Dank zukommen, der ihr und allen großen Brüdern und Schwestern von Popmusikern gebührt: "Sie kümmerte sich um die Platten, bis ich alt genug dazu war. Ohne sie hätte ich viele der genialen Stücke, deretwegen ich überhaupt angefangen habe, Gitarre zu spielen, gar nicht gehört." So steht es auf dem Beiblatt zu "Ultraglide in Black", der aktuellen LP der Dirtbombs. Was nicht draufsteht, was man hören muss, ist die Musik. Es ist die Musik der großen Schwester, Soul, Rhythm'n'Blues, Songs von Marvin Gaye oder Barry White, aber - und jetzt kommt's - gespielt wie von MC5, den Detroiter Proto-Punkrockern. Das funktioniert nicht immer so paradox-komisch-gut, wie es sich liest, aber wenn es funktioniert, dann leuchtet ein, dass es eine Band aus Detroit sein musste, der Stadt von schnellem Schweinerock und Techno, die solch eine von zwei Schlagzeugern getriebene Punkrock-Version schwarzer Popmusik hervorbringt: Da werden einem alten Straßenkreuzer fesche neue Heckflossen verpasst; das hat schon einmal funktioniert, das sollte wieder klappen. Detroiter Lebensweisheit.
     Detroiter Lebensweisheit äußert sich seit ein paar Jahren vornehmlich in Verbalinjurien und Stammtischreimen, denn Detroit hat nicht nur eine Vergangenheit als Auto- und Punkstadt oder als Techno-Geburtsort, sondern auch eine Gegenwart als Wohnsitz der krachigen Prolo-Poeten Kid Rock und Eminem, deren Reimseim weltweit frustrierten Studienratskindern beim Pubertieren hilft. Ausgerechnet aus Detroit, ausgerechnet von einem knapp der Pubertät entwachsenen jungen Mann und seiner Schwester kommt nun Kritik: "Mir kommt das so jämmerlich vor, rumzufluchen und obszöne Ausdrücke zu benutzen, damit alle 12-Jährigen brav ihr Taschengeld bei mir abliefern - nein." Jack und Meg White sind Anfang zwanzig und an älteren Brüdern und Schwester besteht kein Mangel: Man war zu zehnt daheim. Jack spielt Gitarre, Meg spielt Schlagzeug und zusammen müssen sie als The White Stripes einen ebenso infernalischen wie beglückenden Rocklärm abliefern, dass Englands Club-Veranstalter und sämtliche Talentscouts der großen Plattenfirmen hinter ihnen her sind - genau wie Englands Plattenkäufer, denn die wenigen Exemplare von "White Blood Cells", der dritten LP der White Stripes, die es über den Atlantik schaffen, scheinen dort gnadenlos abgefangen zu werden. Hierzulande kann man die Platte wohl bestellen - nur niemand scheint sie liefern zu können.

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