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Piloten bei der Wortentsorgung Teil 1 : 2 : 3
Zum gedankenlosen Umgang mit Schlagwörtern und Kampfbegriffen  
 

Die Neue Deutsche Welle (1979 - 1981) verfügte über einen umfangreichen Schatz zitierbarer Einzeiler und Slogans, und ihr meistzitierter ist wohl "Keine Atempause! Geschichte wird gemacht! Es geht voran!" von der Gruppe Fehlfarben, nur echt mit dem still mitgesungenen Brit-Funk-Riff als Ausrufezeichen. Das mit der abgeschafften Atempause gilt auch fast zwanzig Jahre später noch, aber die beiden anderen Partikel des Textes müssen dringend modifiziert werden. "Geschichte wird gemacht!" bedeutet heute in der deutschen Pop-Szenerie nicht mehr, daß die Zukunft selbst in die Hand genommen wird, sondern daß es eine Vergangenheit gibt, die es zu fälschen gilt. Und dazu läuft man jetzt rückwärts gewandt voran, ein stolpernder Angelus Novus, den Blick zurück ins Paradies gerichtet, aus dem bekanntlich nichts anderes als `ne steife Brise wehen kann.
     Kühne These, was, angesichts einer so wundervoll blühenden, allseits so erfolgreichen, immerzu grünenden Musikindustrie deutscher Zunge und Tastatur, der jetzt sogar MTV, einst Hort des popistischen Internationalismus, mit deutschem Sang und Schall und Moderator Tribut zollt. Nein, es ist schon alles in Ordnung, so wie es ist samt Love Parade, Pop-Komm und Westbam. Aber man wird doch noch anmerken dürfen, daß allerorts gelogen wird, daß die Triniton-Röhren vor lauter Scham eigentlich implodieren müßten. Da steht selbst im Feuilleton dieser Zeitung, daß The Sea and Cake, eine Gruppe aus Chicago, bei ihrem Konzert doch tatsächlich kurz vor dem Spielen eines Krautrock-Solos gestanden hätte. Abgesehen davon, daß selbst heute kaum einer sich unter einem Krautrock-Solo etwas vorstellen kann, vor zwei Jahren wäre diese Bemerkung wegen nachgewiesener Unverstehbarkeit für Trostberger Zahnarztgattinnen aus dem Text geflogen. Doch in diesen zwei Jahren hat via Großbritannien, genauer: via dem gern bedröhnten Kopf des englischen Aushilfspopstars Julian Cope und dessen Vorliebe für psychedelische Drogen und dadurch hervorgerufene Mißverständisse, ein derart unverhohlen reaktionäres Interesse an teutonischen Hervorbringungen in Sachen Popmusik eingesetzt, daß sogar überaltete Kampfbegriffe der Tonträgerindustrie wie "Krautrock" wieder zu Ehren, ja zum völligen Bedeutungswandel kommen können. Als sei es selbstverständlich, wird Popmusik plötzlich (wieder) nicht mehr nach ihrer immanenten Qualität, sondern nach ihrer geographischen Herkunft eingeordnet und gehört. Und wie auch bei dem anderen Sachkenntnis voraussetzenden - und nicht nach sich ziehenden - Trend der 90er Jahre, Easy Listening, führt die hysterische Beschäftigung mit dem Gegenstand "frühe Popmusik aus Deutschland" zu dessen schneller Vernutzung wie zu völlig hanebüchenen Verirrungen jenseits von gutem Geschmack und popgeschichtlicher Tolerierbarkeit. Heino bleibt Heino, James Last bleibt James Last, da hilft kein noch so lautes Publicity-Geplärr selbsternannter Spezialisten für zeitgenössische Irrtümer. Und ein Peter Thomas und Bert Kaempfert hatten ihre Meriten schon vor der aktuellen Hysterie sicher.

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